Zum Gedenken an die Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte jüdischer Herkunft,

die im Landgerichtsbezirk Mainz Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden.

Richter und Staatsanwälte

Ernst CarlebachStaatsanwalt* 27.06.1888+ 20.10.1941 Mainz
Dr. Karl GoldschmidtLandgerichtsdirektor* 04.08.1873+ 30.03.1942 Mainz (Freitod)
Julius LeviStaatsanwalt* 16.03.1877+ 14.11.1938 Mainz (Freitod)
Dr. Arthur LevyLandgerichtsrat* 26.07.1880+ 02.08.1941 Mainz
Arthur LichtenGerichtsassessor* 01.01.1900+ 30.09.1943 Auschwitz
Dr. Fritz MarxAmtsgerichtsrat* 24.10.19001938 Argentinien   +   ?
Karl MayerLandgerichtsrat* 20.02.18791939 England + 23.03.1951 London

 

Rechtsanwälte

Sigmund Baruch* 20.10.18721934 Portugal+ 15.05.1949 Porto-Fez
Dr. Ludwig Baum* 15.12.18861940 Frankreich+ 1942 Auschwitz
Otto Bing* 27.09.1867 + 09.11.1937 Mainz
Franz Carlebach* 02.09.1883 + 14.03.1942 Sachsenhausen
Siegfried Drucker* 09.01.18871939 USA+ 09.01.1956 New York
Clemens Goldschmidt* 05.11.18751937 Schweiz, 1944 USA+  ?
Hans Bernhard Gross* 02.08.19031933 Brasilien+  ?
Alfred Grünfeld* 02.03.19041933 Italien, England+ 07.03.1974
Erich Guggenheim* 13.09.19061934 Brasilien+ 28.11.1987 Niteroi/Brasilien
Julius Guthmann* 16.08.18751939 England+ 29.01.1956 London
Paul Guthmann* 30.01.19021934 USA+ 04.11.1987 Fairfield, Norwalk
Alfred Haas* 17.12.18971933 USA+ 02.03.1964 New York
Eduard Herz* 02.11.18891937 USA+  ?
Hans Horch* 27.03.1886 + 29.07.1937 Mainz
Josef Kahn* 19.10.19051939 England, USA+ 27.04.1986 San Francisco
Franz Kallmann* 03.04.18941933 Frankreich+ 17.05.1982 Zürich
Eugen Kleefeld* 01.02.1870 + 02.11.1942 Theresienstadt
Friedrich Koch* 20.10.19001935 Palästina+  ?
Emil Kramer* 13.02.18781939 England+ 01..11.1960 Twickenham
Paul Krämer* 10.11.1878 + 04.04.1935 Worms
Siegmund Levi* 14.06.1864 + 02.02.1943 Theresienstadt
Otto Lichten* 02.09.1861 + 11.10.1936 Frankfurt/Main
Berthold Mannheimer* 18.03.18551933 Frankreich+ 25.01.1939 Paris
Herbert Mannheimer* 17.04.19011933 Frankreich+ März/April 1944 Auschwitz
Otto Marx* 28.10.18691940 Argentinien+  ?
Georg Nathan* 15.12.18881939 Kuba, USA+ März 1969 USA
Otto Neumann* 08.10.18851939 Kanada, USA+ 27.12.1964 Lakewood, USA
Ernst Reinach* 08.12.1860 + 19.07.1942 Mainz
Bertram Sichel* 30.12.1861 + 27.09.1940 Wiesbaden
Paul Simon* 13.10.18841939 Schweiz, USA+ 07.05.1977 White Plains, USA
Robert Stern* 28.05.18941939 USA+  ?
Fritz Straus* 06.07.19021935 USA+ 10.04.1990 Los Angeles
Max Strauss* 15.01.18671933 Palästina+  ?
Richard Strauss* 29.09.18721933 Holland+ 11.02.1944 Auschwitz
Sigwart Süssel* 07.02.18941937 Kanada+ 23.02.1979 Chilliwack
Max Tschornicki* 09.08.19031933 Frankreich+ 20.04.1945 Dachau
Heinrich Winter* 27.02.1882 + 06.01.1961 Mainz

Nähere Angaben zur beruflichen Karriere und zum Schicksal der Richter und der Staatsanwälte

Ernst Joseph Carlebach

Geboren 27.06.1888
Oktober 1920 Staatsprüfung („genügend“)
21.07.1924 StA beim AG Worms
12.06.1925 AGRat beim AG Höchst i.O.
02.12.1926 StA beim AG Mainz
30.03.1933 vom Hess. JM „bis auf weiteres beurlaubt“
29.01.1934 zum AGRat beim AG Mainz ernannt, jedoch Stelle nie angetreten
31.12.1935 in den Ruhestand versetzt

Im Mai 1940 beantragt er die Genehmigung seiner Wohnsitzverlegung nach § 128 DBG, weil er im Juni 1940 mit Ehefrau nach San Domingo auswandern wolle (Anfrage des OLGPräs beim LGPräs 21.05.1940)

„ … war durch das Tragen des Judensterns derart seelisch mitgenommen, dass er daraufhin schwer erkrankte und am 20. Oktober 1941 verstarb“ (Schr. der Witwe Bertha C. an den LGPräs vom 12.04.1946)

Lt. Volkszählung Stichtag 19.05.1939 wohnhaft Rheinallee 3E

 

Dr. Karl Goldschmidt

Geboren 04.08.1873 in Mainz
Konfession evangelisch
Reifezeugnis 05.08.1892
Fakultätsprüfung  November 1895, Staatsprüfung März/April 1900, beide „gut“
Anwaltsstation bei Dr. Joseph Zuckmayer
16.12.1905 Amtsrichter beim AG Bingen
20.11.1914 AGRat
11.09.1922 LGRat beim LG Mainz unter vorläufiger Belassung in der Stelle eines Amtsrichters beim AG Mainz
01.03.1924 Amtsrichter beim AG Mainz
11.08.1925 Stellv. Mitglied der Disziplinarkammer beim LG Mainz
23.04.1926 LGDir beim LG Mainz und zugleich Amtsrichter beim AG Mainz
01.01.1931 Stellv. Mitglied der Disziplinarkammer beim LG Mainz
01.10.1933 Ruhestandsversetzung (nach entsprechendem Antrag vom 12.06.1933)

Gehalt 01.04.1914: 4500 RM
Gehalt 1933: 9700 RM
Ruhegehalt monatlich nach 39 ruhegehaltsfähigen Dienstjahren: 553,18 RM

Wohnanschrift zuletzt Kaiserstraße 50.
Freitod durch Schlafmittelvergiftung 30.03.1942

Fragebogen Dr. Karl Goldschmidt

Ansprache anlässlich der Stolpersteinverlegung für Karl Goldschmidt am 3. Februar 2015 vor seiner letzten Wohnung in der Kaiserstraße 50 (Auszug)

Stolpersteine sollen an diejenigen erinnern, für die es keinen Ort des Gedenkens in Gestalt einer Grabstätte gibt. Karl Goldschmidt wurde zwar beigesetzt, allerdings unter Umständen, die eine Grabinschrift mit seinem Namen nicht zuließen – und dies hat sich bis heute nicht geändert. Dort, wo er nach seinem Suizid beerdigt wurde – auf dem Neuen Jüdischen Friedhof – gibt es keinen Stein (mehr), und die Grabstätte, in die man ihn zwei Jahre später vermutlich unter konspirativen Umständen überführt hat, nennt seinen Namen nicht: Es ist das große Familiengrab Zuckmayer/Goldschmidt auf dem Mainzer Hauptfriedhof.

Damit kommen wir zu seiner familiären Herkunft:

Karl Moritz Goldschmidt, Rufname Karl, für die Familie „Onkel Motz“, war das zweite von drei Kindern der Eheleute Eduard Goldschmidt und Rosalie Cannstadt, die sich und ihre Kinder 10 Jahre nach seiner Geburt evangelisch taufen ließen. Seine ältere Schwester Amalie heiratete Carl Zuckmayer senior, sein jüngerer Bruder Fritz dessen Schwester Gertrude (was zu der Verquickung des Goldschmidt- und des Zuckmayer-Clans führte), er selbst blieb unverheiratet.

Nach seiner Ausbildung, in der Anwaltsstation natürlich bei Justizrat Dr. Joseph Zuckmayer, war er zunächst Hilfs- und dann planmäßiger Richter beim AG Bingen und wurde 1922 Landgerichtsrat in Mainz, später sogar Landgerichtsdirektor. Dann kamen die Nazis an die Macht und erließen das Gesetz mit der zynischen Bezeichnung „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das zwar die sogenannten Altbeamten mit jüdischer Herkunft verschonte, ihnen aber nahelegte, „zur Vereinfachung der Verwaltung“ – bei Erhalt der Pensionsbezüge – die Versetzung in den Ruhestand zu beantragen.

Seit dem 1. Oktober 1933 war Karl Goldschmidt, inzwischen 60 Jahre alt,  Landgerichtsdirektor im Ruhestand und verzehrte seine Pension von monatlich 553,18 RM. Zuvor hatte er noch den berüchtigten Fragebogen auszufüllen, in dem er sich als „evangelisch (früher israelitisch)“ bezeichnete und  größten Wert darauf legte, „niemals einer politischen Partei“ und insbesondere „niemals der Eisernen Front“ angehört zu haben.

Im Januar 1939 musste Karl Goldschmidt den Ausweis mit dem roten  „J“ beantragen.

Ausweis Karl Goldschmidt

Kurz vor seinem Suizid wurde Karl Goldschmidt gezwungen, das Haus, das hier früher gestanden hat, zu verlassen und in die Kaiserstraße 21 – eines der sogenannten Judenhäuser – umzuziehen. Vermutlich hat er dort eine Überdosis Schlafmittel genommen und wurde daraufhin ins Jüdische Krankenhaus eingeliefert, wo er am 30. März 1942 verstarb. Das Sterberegister vermerkt als Todesursache meines Urgroßonkels lapidar: „Schlafmittelvergiftung (Selbstmord)“.

David Julius Levi

Geboren 16.03.1877 in Mainz
Konfession: evangelisch
Fakultätsprüfung Sommer 1901 (im ganzen gut), Staatsprüfung Oktober 1905 (gut)
April 1906 bis zur Anstellung Hilfsgerichtsschreiber, Amtsanwalt, stellv. Amtsrichter in Darmstadt und Mainz
01.04.1919 Staatsanwalt

Dienstchronik David Julius Levi

Gehalt 1933: 8400 RM
Ruhegehalt monatlich nach 33 ruhegehaltsfähigen Dienstjahren: 449,26 RM
31.03.1933 Beurlaubung („hat seinen Dienst verlassen“)
16.06.1933 Ruhestandsversetzung

Dienstquittierung David Julius Levi

Gestorben 14.11.1938 „Freitod durch Schlafmittelvergiftung“
Zu diesem Zeitpunkt wohnhaft Jakob-Dieterich-Str. 5

Sterberegister David Julius Levi

Dr. Arthur Levy

Geboren 26.07.1880 in Mainz
Konfession: israelitisch
Fakultätsprüfung Herbst 1901, Herbst 1905 Staatsprüfung, beides „gut“
Februar 1906 Doktorprüfung Uni Heidelberg „insigni cum laude“
Juni 1907 bis zur Anstellung Hilfsgerichtsschreiber beim LG Mainz und Amtsanwalt bei den  AG Alzey, Pfeddersheim und Wörrstadt
27.05.1919 Amtsrichter beim AG Osthofen
14.01.1925 LGRat beim LG Mainz und AGRat beim AG Mainz
16.06.1933 Entlassung
Ruhegehalt monatlich 437,15 RM

Ausweis Dr. Arthur Levy

Laut Volkszählung 19.05.1939 wohnhaft Schusterstraße 10 I
Gestorben 02.08.1941, Todesursache „Herzschlag“
Zu diesem Zeitpunkt wohnhaft Ludwigstraße 4.
Beerdigt auf dem Neuen Jüdischen Friedhof Reihe 13/3

Arthur Levy wurde 1880 in Mainz geboren, bestand beide juristischen Staatsprüfungen mit „gut“ und wurde 1906 in Heidelberg „insigni cum laude“ (entspricht einem „sehr gut“) promoviert. Seine planmäßige Anstellung erfolgte am 27. Mai 1919 durch die Ernennung zum Richter am AG Osthofen, knapp sechs Jahre später war er Landgerichtsrat in Mainz. Er profitierte nicht von dem „Altbeamtenprivileg“ des GWBB und hatte auch nicht im 1. Weltkrieg „an der Front gekämpft“, sodass zum 16. Juni 1933 seine Versetzung in den Ruhestand erfolgte.

Bis zu seinem Tod erhielt er Ruhegehaltsbezüge in Höhe von 437,15 RM monatlich. Im Streberegister vom 2.August 1941 ist als Todesursache „Herzschlag“ vermerkt. Über die Begleitumstände braucht man nicht lange zu spekulieren. Sein Grab ist auf dem Neuen Jüdischen Friedhof.

Grabstein Dr. Arthur Levy

Das Erbe ging auf seinen vier Jahre jüngeren Bruder Oskar Levy über, der Kaufmann war. Er wurde am 30. September 1942 deportiert und vermutlich in Treblinka umgebracht. Seinen zwei Söhnen Eugen und Michael gelang Anfang 1939 die Auswanderung in die Schweiz und von dort die Emigration in die  USA. Von New York aus betrieben sie – mit Unterstützung des ebenfalls rechtzeitig geflohenen Mainzer Anwalts Alfred Haas – in den 50er Jahren ein Wiedergutmachungsverfahren. Die Klagebegründung - hier ein Auszug -

Wiedergutmachungsverfahren Dr. Arthur Levy

vermittelt ein Bild von den Methoden und den Folgen der systematischen Ausplünderung. So heißt es in dem Schriftsatz u.a.:

"Anfang des Jahres 1939 waren sowohl der Erblasser Oskar Levy wie auch Dr. Arthur Levy gezwungen, alle Schmucksachen und Gold- und Silbergegenstände abzuliefern. Im Hause der Brüder Levy in Mainz, Schusterstraße 10 befanden sich Juwelen und Gegenstände aus Edelmetallen der Eltern, da die beiden unverheirateten Brüder, Dr. Arthur Levy und Richard Levy, der 1938 verstorben war, die gesamten Einrichtungsgegenstände der Eltern übernommen hatten."

Dann werden die Gegenstände aufgezählt, die Oskar und Arthur Levy bei der Städtischen Pfandleihanstalt abliefern mussten. Und man bekommt einen Eindruck von den sogenannten gutbürgerlichen Wohnverhältnissen der beiden, wenn es dort heißt:

"Der Erblasser besaß in seinem Hause in Mainz, Schusterstraße 10 eine aus 6 Zimmern und Küche bestehende Wohnung. Landgerichtsrat Dr. Arthur Levy hatte im gleichen Hause eine aus 7 Zimmern und Küche bestehende Wohnung inne. Als er im August 1941 verstarb, löste der Erblasser den Haushalt des Bruders auf. Er übernahm jedoch die außergewöhnlich umfangreiche und wertvolle Bibliothek, 1 Flügel, 4 Orient-Teppiche, Perserbrücken, Ölgemälde, Kunstgegenstände und eine Sammlung von Meissner Porzellan-Figuren."

Arthur Lichten

Geboren 01.01.1900
30.12.1927 Gerichtsassessor

Juni/Juli 1928 Aushilfe beim AG Gießen, Januar bis April 1929 Assessor beim AG Wald-Michelbach, Mai 1929 bis Februar 1930 Amtsanwalt bei den AG Bingen, Ober-Ingelheim und Wöllstein, ab März 1930 Ass. beim AG Groß-Gerau, 1932 Vertretungsstelle beim AG Oppenheim

27.03.1933 Beantragung der Rechtsanwaltszulassung, 13.04.1933 Ablehnung des Zulassungsgesuchs

Besonderheiten:
Sicherungshaft wg. Devisenvergehen seit 23.06.1939
Vermögenserklärung vom 21.09.1942 mit Nachricht der Gestapo betr. „Evakuierung“ am 27.09.1942

Vermögenserklärung Arthur Lichten
Gestapobrief Arthur Lichten

Gestorben 30.09.1943
Deportationsliste 30.09.1942, Nr. 701 (General-Gouvernement)
Zuletzt wohnhaft Friedrichstraße 14, Gonsenheim

Dr. Fritz Marx

Geboren 24.10.1900 in Bingen, Vater Rechtsanwalt Justizrat Dr. Otto Marx
Fakultätsprüfung April 1922, Staatsprüfung Herbst 1925
Seit 05.09.1931 Amtsgerichtsrat in Alzey.
Entlassung zum 16.06.1933.
1938 nach Argentinien geflohen.

Karl Gottlieb Mayer

Geboren 20.02.1879 in Mainz
Konfession: israelitisch
Fakultätsprüfung Juni 1901, Staatsprüfung Oktober 1904 (beide „genügend“)
10.05.1905 Verwendung als stellv. Richter beim AG Oppenheim ohne Aufnahme in das Beamtenverhältnis
15.02.1918 Amtsrichter beim AG Gernsheim
27.05.1919 Amtsrichter beim AG Bingen
28.10.1920 Amtsrichter beim AG Mainz
17.04.1925 LGRat beim LG Mainz unter Belassung seiner Stelle als AGRat beim AG Mainz
16.06.1933 Entlassung (kein „Frontkämpfer“ und keine planmäßige Anstellung vor dem 2. August 1914)
Gehalt 1933: 8400 RM
Ruhegehalt nach 33 ruhegehaltsfähigen Dienstjahren monatlich 473,10 RM
Wohnhaft Kaiserstraße 92
10.11. – 24.11.1938 Inhaftierung in Buchenwald
22.03.1939 Flucht nach England
16.11.1948 Erwerb der britischen Staatsangehörigkeit
23.03.1951 verstorben

Mayer wurde im Jahr der Reichsgründung als Sohn eines Mainzer Justizrats und einer Mutter mit englischem Elternteil, von Beruf Gesangslehrerin, geboren. In seiner Personalakte findet man die „Dienstchronik“: Im Mai 1905 begann seine Richterkarriere in der Funktion als stellvertretender Richter beim Amtsgericht Oppenheim, allerdings erfolgte die planmäßige Anstellung erst im Februar 1918 mit der Ernennung zum Amtsrichter beim AG Gernsheim, was 1933 für sein weiteres Berufsleben noch entscheidende Bedeutung erlangen wird.  Jedenfalls wechselte er dann nach Bingen und schließlich nach Mainz, wo er bis zum Landgerichtsrat aufstieg. Bekanntlich galt die Ausschlussregelung des GWBB u.a. nicht für Beamte, die schon seit dem 1. August 1914 im Dienst waren, und Mayer wurde – wie erwähnt – am 10.Mai 1905 in das Beamtenverhältnis aufgenommen, wie es der Bericht des LG Präsidenten auch zutreffend festhält.

Entlassung Karl Gottlieb Mayer

Im nachfolgenden Aktenvermerk heißt es dann allerdings unter Hinweis auf die 3. DVO zum GWBB, dass die planmäßige Anstellung maßgebend sei, und diese sei erst am 15. Februar 1918 gewesen. Nun hätte es für Mayer noch ein Schlupfloch gegeben, denn im selben Abschnitt der besagten DVO heißt es, dass jemand einem planmäßigen Beamten gleichgestellt werden kann, der am 1. August 1914 sämtliche Voraussetzungen für die Erlangung einer solchen Anstellung erfüllt hat und sich ZITAT „während seiner Tätigkeit als Beamter in hervorragendem Maße bewährt hat“. Hierzu der Aktenvermerk: „Hervorragende Bewährung im Sinne dieser Vorschrift liegt nach der mündlichen Erklärung des Präsidenten des Landgerichts nicht vor.“

Folgerichtig wurde Mayer mit Wirkung zum 16. Juni 1933 in den Ruhestand versetzt. Als monatliches Ruhegehalt wurden 473,10 RM ausgerechnet, gezahlt wurde es bis März 1941. Das ursprüngliche Gehalt betrug knapp 670 RM.

Pensionsberechnung Karl Gottlieb Mayer

Nach dem Novemberpogrom wurde Mayer im für zwei Wochen in das KZ Buchenwald verschleppt. Nach seiner Rückkehr betrieb er die baldige Auswanderung.

Judenvermögensabgabe Karl Gottlieb Mayer

Vom 29.12.1938 datiert der erste Bescheid über die Judenvermögensabgabe über 6200.- RM, zahlbar in vier Raten bis 15. August. Später wurde noch eine weitere Rate in Höhe von 1550.- RM eingefordert. Am 11. Januar 1939 wurde Mayer zur Zahlung der „Golddiskontabgabe“ in Höhe von 5600.- RM aufgefordert. Sie diente, wie es in dem Bescheid heißt, „für Ausfuhrförderungszwecke“. Tatsächlich war es eine Abgabe auf ins Ausland transferiertes Geld - seit 1938 90% der jeweiligen Summe - und auf das mitgenommene Umzugsgut, wobei der volle Anschaffungspreis für alle nach dem 31.12.1932 erworbene Gegenstände (sog. „Neubesitz“) bezahlt werden musste.

Am 18. Januar 1939 erhielt er die Kennkarte mit dem roten „J“.

Kennkarte Karl Gottlieb Mayer

Am 22. März 1939 emigrierten Mayer und seine Frau nach England, wo der 1916 geborene Sohn Ferdinand Philipp bereits seit 1932 (bei einer Tante) lebte.

Ende 1948 begannen Mayers Bemühungen um „Wiedergutmachung“. Er verstarb im März 1951 und hatte selbst nichts mehr von deren Erfolg. Die Ansprüche gingen auf das einzige Kind über: Sein Sohn erhielt 1954 für die „Judenvermögensabgabe“ und die „Dego-Abgabe“ umgerechnet 2760 DM.

Erst weitere drei Jahre später wurde der Einkommensschaden festgesetzt. Die Berechnung war eigentlich simpel: Die im Zeitraum Oktober 1933 bis Februar 1944 – hier hätte Mayer die Pensionsgrenze normalerweise erreicht – entgangenen Dienstbezüge beliefen sich auf knapp 65000 RM, wovon die erhaltenen Pensionen abzuziehen waren, so dass sich die Differenz mit ca. 23000 RM errechnete. Hinzugerechnet wurden die im Zeitraum März 1944 bis März 1950 entgangenen Versorgungsbezüge, wobei für die Zahlungen bis Juni 1948 das Umrechnungsverhältnis 10 RM = 2 DM galt, sodass die Entschädigungsleistung letztlich ca. DM 20000 betrug.

Ferdinand Philipp Mayer nannte sich inzwischen Ferdy Mayne. Während des Krieges trat er in deutschsprachigen Sendungen der BBC auf und begann eine Schauspielerausbildung. Seine erste große Rolle war die des deutschen Widerstandskämpfers Kurt Müller in dem Stück „Watch on the Rhine“ (das später auch verfilmt wurde, deutscher Titel: Die Wacht am Rhein“). Er wurde ein erfolgreicher Filmschauspieler, u.a. spielte er den Grafen von Krolock in Roman Polanskis „Tanz der Vampire“.  Dem deutschen Publikum ist er am ehesten aus der ZDF-Serie „Rivalen der Rennbahn“ bekannt, aus der auch das Foto stammt. Ferdy Mayne verstarb am 30. Januar 1998 in England.

Recherche und Texte: RA Dr. Tillmann Krach

Quellen:
Amtliche Regierungsblätter, Familienregister und Sterberegister der Stadt Mainz, Nachlass Michel Oppenheim (Stadtarchiv Mainz), Aktenbestände beim Landesarchiv Speyer, beim Staatsarchiv Darmstadt und beim Amt für Wiedergutmachung Saarburg.

Stand September 2016

Für ergänzende Informationen oder Korrekturen ist der Autor immer dankbar.

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